Lago di Garda 1998

©Achim Lerch 1998.

Dieser Bericht ist auch in den Motorradmagazinen Kradblatt, MoKo und Bremer Motorradanzeiger erschienen (Januar 1999).

Kritik, Anregungen: lerch@wirtschaft.uni-kassel.de


Der Frühling, der ein Winter war

Frühling am Gardasee - das hielt ich eigentlich für eine gute Idee. Und ein paar freie Tage um Ostern kommen auch zusammen, also den Gepäcksack auf´s Motorrad geschnallt und los geht's. Die Autobahn nach Lindau wird schnell abgespult, und die Alpen in Sicht kommen ab dem Bodensee erste Urlaubsgefühle auf. Der strahlend blaue Himmel paßt dazu, nur die eisige Kälte, die schon seit einigen Tagen in Form von Polarluft ganz Mitteleuropa überzieht, wirkt etwas störend. Der übliche Stau in Bregenz hält sich heute in Grenzen und schon bald fällt der Blick bei Vaduz auf das fürstliche Schloß von Lichtenstein. Hinter Chur beginnt dann endlich der eigentliche Fahrspaß: Wie im Rausch erklimme ich die ersten Kehren der Straße nach Lenzerheide. Je höher ich komme, desto mehr drehe ich jedoch das Gas zurück: Den Alpen brachte der Kälteeinbruch reichlich Neuschnee, und davon liegt nun links und rechts der Straße jede Menge. In Lenzerheide selbst herrscht dann auch noch reger Skibetrieb, und ich genieße die wieder zunehmende Wärme, als sich die Straße wieder hinunter nach Tiefencastell schraubt. Doch direkt danach geht es wieder aufwärts auf den 2.284 Meter hohen Julierpaß. Hier oben ist es mächtig kalt und ich freue mich auf die Abfahrt nach Italien. Zunächst geht es an Silvaplaner und Silser See entlang zum Malojapaß und dann in engen Kehren hinunter nach Chiavenna. Nachdem an einem Geldautomaten italienische Lire organisiert sind, setze ich die Fahrt fort nach Dervio am Lago di Como. Auf dem Campingplatz "Europa" schlage ich mein Zelt direkt am Seeufer auf und nach einem Spaziergang durch den Ort beschließe ich den Abend bei einer Pizza Quattro Formaggio.

In der Nacht bin ich dann froh, den dicken Winterschlafsack dabei zu haben, es ist bitterkalt. Auf dem Weg nach Premana, den ich am nächsten Morgen einschlage, wandeln sich die Regentropfen dann ab etwa 800 Höhenmetern in Schneeflocken, die ab 1.200 Meter auch liegen bleiben. Zum Glück führt die Strecke bald wieder abwärts nach Taceno. Über Vedesata geht es durch eine herrliche Schlucht weiter nach St. Pellegrino und von dort über Selvino und Gandino zum Lago d´Endino. Von hier ist es nicht mehr weit zum Lago d´Iseo, den ich dann südlich umfahre um über den Passo Termini zum Idro-See zu gelangen. Bei einem Cappuccino wärme ich mich erst einmal auf bevor ich den letzten Paß des Tages in Angriff nehme. Über das etwa 1.000 Meter hohe Capovalle, dessen Dächer schneebedeckt sind, geht es am Lago di Valvestino vorbei nach Gargnano, genauer zum Motorradhotel Monte Gargnano. Da es den ganzen Tag immer wieder geregnet bzw. geschneit hat und der Himmel auch jetzt nicht sehr freundlich aussieht, habe ich beschlossen, das Zelt im Packsack zu lassen und mich statt dessen bei Alain Goffard einzuquartieren. Eine weise Entscheidung, wie sich noch herausstellen sollte.

Da es noch relativ früh am Nachmittag ist, starte ich nach dem Abladen des Gepäcks noch zu einer kleinen Runde. Zunächst hinunter ans Ufer des Gardasees, dann nach Norden bis Campione und über eine der schönsten Straßen in dieser Gegend hinauf nach Vesio. An der Abzweigung zum Tremalzo-Paß betrachte ich traurig das Sperrschild: Motorrad auf weißem Grund mit rotem Rand. Früher ein Paradies für Endurofahrer ist das Westufer des Gardasees heute für Offroadabenteuer tabu. Wie sehr es einige "Kollegen" übertrieben haben müssen wird einem klar, wenn man weiß, wie tolerant und motorsportbegeistert gerade die Italiener normalerweise sind. Wehmütig denke ich an frühere Tremalzobefahrungen zurück und fahre weiter über Tignale ans Seeufer und schließlich zurück ins Hotel. Dort hat Alain genau den richtigen Trost: Wohlschmeckende Pasta als Vorspeise, Kalbschnitzel in Weißweinsauce mit Salat und Spinat mit Parmesan als Hauptgang, und schließlich ein großes Eis als Dessert. Müde und satt gehe ich an diesem Abend früh schlafen.

Geweckt werde ich von dem Geräusch des prasselnden Regens, das mich auch schon in den Schlaf gelullt hatte. Also wird nach dem Frühstück wieder die Regenhose angezogen und ich mache mich auf den Weg nach Capovalle. Eigentlich wollte ich heute die Strecke über Eno am Monte Spino vorbei nach Vobarno fahren, die kurios direkt durch eine Bergkirche führt. Doch auf dem Weg nach Capovalle erkenne ich, daß der Regen ab etwa 800 Meter als Schnee niedergegangen ist und erleichtert schließe ich mich einem Schneepflug an, der die Strecke hinter Capovalle gerade freiräumt. An der Abzweigung nach Eno sehe ich dann, daß ich keine Chance habe: Eine dicke weiße Schneeschicht bedeckt die Straße, keinerlei Spuren sind zu sehen, statt dessen ein Schild: gesperrt wegen Schnee. Damit ist klar, daß ich auch andere für diesen Tag geplante Strecken nicht fahren kann, und so folgt eine große Runde über Idro-See, Ledro-See und Gardasee, mit einigen Abstechern zum Monte Baldo, die aber allesamt früher oder später im Schnee enden. Genügend Kilometer kommen aber auch so zusammen, und das wieder opulente Mahl im Hotel habe ich mir redlich verdient.

Am nächsten Tag, an dem es wieder regnet, ist schon die Rückreise angesagt. Über Trento gelange ich schnell nach Auer, wo ich, optimistisch wie ich bin, rechts abbiege um über Aldein und Weißenstein Richtung Karerpaß zu fahren. Eigentlich wollte ich nämlich noch die "Sellarunde" über Sella-, Pordoi- und Campolognopaß sowie Grödnerjoch "mitnehmen", doch dafür schneit es schon im 1.400 Meter hohen Weißenstein viel zu sehr. Also fahre ich an der Abzweigung nicht nach rechts zum Karerpaß, sondern nach links durch die Karerschlucht (Eggenschlucht) direkt nach Bozen. Von dort bin ich schnell am Brenner, der mich dann überrascht: Auf der Nordseite plötzlich strahlender Sonnenschein. Das gibt Gelegenheit noch einen Umweg über Kühtai-Sattel, Fernpaß, Reutte und Plansee zu fahren, bevor ich mich hinter Oberammergau in einem Gasthof für die Nacht einquartiere. Am nächsten und letzten Tag geht es dann über Bundes- und Landstraßen über Augsburg, Donauwörth, Ansbach, Rothenburg ob der Tauber, Kitzingen, Bad Kissingen und Fulda zurück nach Kassel. Auch wenn der Frühling nicht stattgefunden hat - schön war es doch, nach fünf Jahren wieder mal den Gardasee besucht zu haben.

Achim Lerch


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